„Wenn der Mensch nach Gott fragt, dann gibt er“ – laut Martín Velasco – „in Wirklichkeit ein Echo der Frage wieder, die Gott ihm schon immer gestellt hat; in dem Moment, in dem er glaubt, Gott zu kennen, bekommt er ein Bewusstsein des Lichtes, das ihn und das Absolute kennt; und wenn sich der Mensch dies herbeisehnt, dann wird er in Wirklichkeit durch die Anziehungskraft angezogen, die das Gute, die Präsenz, über ihn ausübt.“

Im Folgenden wollen wir einige fundamentale Dimensionen der menschlichen Existenz – die Erkenntnis, die Sehnsucht und die Freiheit – analysieren und dabei in ihnen „Orte“ der Anwesenheit des Mysteriums erkennen und so eine mystische Anthropologie ausarbeiten.3 Obwohl Heinrich Seuse die Frage nach dem Menschen nicht ausdrücklich stellt, können wir dieser Frage durch sein Werk hindurch nachgehen.4 Das Vorhaben, das dieser Frage zugrunde liegt, besteht darin, das letzte Ziel des Menschen aufzuzeigen, das in einem selige volkome leben liegt; das heißt geführt zu sein „in daz verheißene Land eines lauteren, ruhigen Herzens, in dem die Seligkeit hier beginnt und in jener Welt ewig wärt“.5 Sowohl Seuses theologischer Diskurs, grundsätzlich entwickelt in Daz buechli der warheit und in den letzten acht Kapiteln der Vita,6 als auch seine didaktischen oder allegorischen Texte sind geprägt von dieser Sehnsucht nach der Begegnung mit Gott – Ursprung und Quelle des Lebens und der Erfüllung des Menschen –; denn das ewige Leben ist nichts anderes als Gott zu kennen und zu schauen (cf. Joh 17,7),7 sich gänzlich und unmittelbar an Ihm zu erfreuen.8

1. Das zirkuläre Schema: Ausbruch, Durchbruch

Seuse bedient sich des zirkulären Schemas der griechischen Kirchenväter,9 welches von Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Meister Eckhart wieder aufgenommen und vom philosophischen Neuplatonismus stark beeinflusst wurde, und zwar mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Obwohl die Rezeption des östlichen Neuplatonismus zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts einige synkretistische Tendenzen auslöste,10 fing man nach der Exegese der Viktoriner an, Dionysius enorm zu schätzen. Man hielt den Verfasser des Corpus Dionysiacum für den vom Heiligen Paulus bekehrten Dionysios und verwechselte ihn sogar mit Dionysius von Paris, dem Bischof und Märtyrer des zweiten Jahrhunderts.

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Den vollständigen Text finden Sie im Jahrbuch Heinrich Seuse 2008

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