Wir kennen das Phänomen sowohl aus dem Leben Meister Eckharts (1260-1328) wie Johannes Taulers (1295/1300/10-1361):1 Nämlich dass ihr konkretes Leben dem neugierigen Interesse einer modernen historisch-biographischen Forschung2 nur sehr beschränkt zugänglich ist. Anders ist es um das Wissbare über das äußere Leben des Dominikaners Heinrich Seuse bestellt.3 Es unterscheidet sich von den beiden genannten Bettelmönchen darin, dass – aus der Lebensoption Heinrich Seuses selber heraus – einiges von seinem Leben in seinen Schriften sichtbar werden konnte. Wenn wir auch hier noch in mancherlei Hinsichten im Dunklen tappen und uns seine berühmte Autobiographie (Vita) bisweilen zu irritieren vermag, lässt sich doch aus seinen Schriften so etwas wie eine ,Lebensfigur‘ erschließen.4
Was das religiös und zivilisationsgeschichtlich bedeutet, möchte ich am Ende meiner Ausführungen anzudeuten versuchen. Es wird sich zeigen, dass die Lebensfigur,5 die Seuse in seinem schriftlichen Werk hinterlässt, von höchster religiöser und geschichtlicher Bedeutsamkeit ist, aber auch eine modellbildende Rolle im Rahmen autobiographischer Lebensentwürfe einnehmen wird, letztlich aber als Signal eines Umbruchs und Paradigmenwechsels erkannt werden muss, das eine neue und ,moderne‘ Zeit einläutet (obwohl Seuse selber den Ausdruck ,modern‘ in diesem Zusammenhang sicher nicht gern gehört hätte).
I.
Schauen wir uns erst einmal an, was wir aus verschiedenen Quellen Wissbares aus seinem Leben festmachen können. Es ist nicht wenig, wenn wir es im Kontext der sonst in dieser Zeit allgemein herrschenden Undurchschaubarkeit, was sog. ,private‘ Lebensumstände betrifft, beurteilen.
Seuses Geburtstag ist – aufgrund seiner eigenen Angabe – bekannt: Es ist das Fest des Hl. Benedikt, also der 21. März; das Jahr allerdings kennen wir nicht (B 44,4f.); es mag sich um l295/97 gehandelt haben. Dies ist keineswegs befremdlich, weil der Geburtstag eines Menschen im Mittelalter – für uns a priori ein Zeichen seiner Individualität6 – überhaupt noch nicht wahrgenommen werden konnte! Bis ins 13. Jahrhundert – der Zeit eines revolutionären Aufkommens einer neuen Stadtkultur mit neuen Bedürfnissen nach Individualität und Privatheit! – und einige Zeit darüber hinaus blieben die Menschen des Mittelalters stark eingebunden in genossenschaftlich organisierte Lebensbedingungen, die keinen großen Raum individueller Entfaltung boten.
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Den vollständigen Text finden Sie im Jahrbuch Heinrich Seuse 2010